Vernissage: 29. April 2022 um 19 Uhr
Das MMK Passau zeigt über 100 Werke von Alberto Giacometti aus der Sammlung von Helmut Klewan (*1943).
Klewan, der zwischen 1970 und 1999 als Galerist in Wien und München tätig war, besitzt eine hochrangige Sammlung von international bedeutenden Werken der klassischen Moderne und der Nachkriegskunst. Als Eigentümer der größten Alberto-Giacometti-Sammlung in Deutschland leiht er dem MMK Passau jetzt kurzfristig über 100 Werke: Skulpturen, Ölgemälde, Zeichnungen und vor allem Druckgrafiken, die den Schwerpunkt der Ausstellung bilden.
Alberto Giacometti zählt zu den bedeutendsten Künstlern des 20. Jahrhunderts. Das Hauptthema seines vom Existenzialismus und von der Phänomenologie geprägten Werkes ist die conditio humana.
Die Ausstellung gliedert sich analog zum architektonischen Rundgang des Passauer Museums in sechs Themenfelder. Der erste Raum ist Giacomettis privatem Umfeld gewidmet mit Selbstporträts und Porträts der Familie, Ansichten von Stampa in Graubünden, wo der Künstler aufwuchs und wohin er immer wieder zurückkehrte, und von seinem Atelier in Paris, das ab 1926 seinen Lebensmittelpunkt bildete.
Der zweite Raum thematisiert den Nu debout (Stehenden Akt), der nach Giacomettis surrealistischer Phase ab 1935 eines seiner künstlerischen Hauptmotive bildet. In der Nachkriegszeit entstehen schließlich extrem lange, schlanke Skulpturen, in denen er seine subjektive Seh-Erfahrung von Personen auf Distanz abzubilden versucht. Giacometti begreift Skulptur nicht mehr als körperhafte Nachbildung im realen Raum, sondern als imaginäres Bild im gleichzeitig imaginären wie realen Raum.
Inhaltlich schließt daran der dritte Raum an mit Straßenszenen aus der Grafik-Serie Paris sans fin (Paris ohne Ende) von 1958-65 und vor allem mit der Skulptur La cage (Der Käfig) von 1950: Hier teilen sich ein weiblicher Akt und eine Büste ohne konkreten Bezug zueinander einen doppelbödig gestalteten imaginären Raum, der als „Käfig“ seinerseits mit dem realen Raum kommuniziert. Das Verhältnis zwischen Figur und übermächtigem Raum ist Giacomettis zentrales künstlerisches Thema.
Der vierte Raum mit Porträts von Schriftstellern und Galeristen eröffnet uns Giacomettis gesellschaftlichen Kosmos in Paris. Unter den Porträtierten befindet sich auch James Lord (1922–2009), Giacomettis späterer Biograf, den er im Februar 1952 im Café Les Deux Magots kennenlernt. Während der Modellsitzungen sammelt Lord Material für sein Buch A Giacometti Portrait (Alberto Giacometti – Ein Portrait), das 1965 vom Museum of Modern Art in New York veröffentlicht wird.
Im fünften Raum mit skulpturalen und grafischen Miniaturen geht es abermals um das Verhältnis zwischen Figur und Raum. Der kleine Maßstab der dargestellten Figuren ist auf ein prägendes phänomenologisches Erlebnis zurückzuführen: 1937 beobachtet Giacometti auf dem Boulevard St. Michel, wie sich seine damalige Geliebte Isabel von ihm entfernt und dabei immer kleiner wird, ohne dass sich ihr Bild als visuelle Erinnerung verliert. Bei den Versuchen, dieses Phänomen künstlerisch wiederzugeben, werden Giacomettis Figuren und Köpfe immer kleiner. Zwischen 1938 und 1944 sind die Figuren höchstens sieben Zentimeter groß, um die Distanz auszudrücken, in der er das Modell gesehen hat. Als weiteres Stilmittel zum Ausdruck von räumlicher Distanz verwendet Giacometti Quadersockel, die größer sind als die Figuren selbst, wie in Petit buste sur double socle (Kleine Büste auf doppeltem Sockel) von 1940/41.
Im sechsten Raum sind sechs von sieben in Passau ausgestellten Ölgemälden zu sehen, die Giacometti als Maler vorstellen. Nach 1947 tritt die figurative Malerei in Giacomettis Werk gleichberechtigt neben die Skulptur. Die fast monochromen Gemälde der Spätzeit entziehen sich jeglicher stilistischer Zuordnung und besitzen eine ungeheure Kraft und Tiefenwirkung.